Saarlandbotschafterveranstaltung mit Hildegard Werth

Saarlandbotschafterin und ZDF-Wissenschaftsredakteurin Hildegard Werth sprach am 17. November 2011 in Saarbrücken zum Thema „Auf ins All – Zukunftsperspektiven im Weltall“.

Herr Michael Hartz, Vorstand der SHS Foundation, begrüßt die Zuhörer und die Referentin Saarlandbotschafterin Hildegard Werth. Frau Werth hält ihren Vortrag über die Zukunftsperspektiven der Raumfahrt, welcher im Folgenden im Wortlaut widergegeben ist:

„Gleich zu Beginn möchte ich einem möglichen Missverständnis vorbeugen: Sie werden heute keinen Vortrag über Science Fiktion Ideen hören. Als Nachrichtenjournalistin interessiere ich mich nämlich weniger für Utopien wie die Besiedlung des Mars oder Reisen mit Über-Lichtgeschwindigkeit in ferne Galaxien. Mein Thema ist vielmehr die Raumfahrt von morgen und übermorgen – also Projekte, die von der nächsten und übernächsten Generation verwirklicht werden. Dabei beschäftige ich mich z.B. mit der Frage: Welchen Weg ist die Menschheit auf der Reise in den Weltraum gegangen? Was hat man gelernt? Welche Technologien gibt es und welche Pläne für die Zukunft? Ich denke, dass es wichtig ist, zu wissen, woher man kommt, wenn man entscheiden muss, wo man hin will. Deshalb möchte ich meinen Blick nach vorn beginnen mit einem kurzen Blick zurück. Und ich konzentriere mich auf die bemannte – neuerdings sagt man auch astronautische – Raumfahrt. Denn das ist das, was die Menschen immer schon am meisten fasziniert hat.

Der Titel, den ich für diese Veranstaltung gewählt habe „Auf ins All“ – soll zunächst einmal an Juri Gagarin erinnern, den ersten Menschen im Weltraum. Am 12. April 1961 – also vor 50 Jahren – hat er mit dem Ruf „Pojechali“ – Auf geht’s! als erster Mensch die Erdanziehungskraft überwunden. Das war damals eine Art Himmelfahrtskommando, denn niemand wusste, ob Menschen die Bedingungen im Weltraum überhaupt überleben können. Gagarin hatte Glück. Sein Raumschiff funktionierte so leidlich – was keineswegs sicher war, denn einige Experten hielten es nur für beschränkt flugtauglich. Es brachte ihn in eine Umlaufbahn, in der er die Erde einmal umkreiste, bevor er am Fallschirm mitten in einem Kartoffelacker landete. In der Nähe der Stadt „Engels“ an der Wolga. Damals wagte man noch nicht, die Kosmonauten in der Kapsel landen zu lassen. Sie mussten sich mit dem Schleudersitz herauskatapultieren, so wie sie es als Militärpiloten ohnehin gelernt hatten.

Ich erinnere mich noch sehr genau, wie ich damals als Zweitklässlerin der Grundschule auf der Hohen Wacht mitbekam, wie besorgt meine Eltern auf dieses Ereignis reagierten. Raumfahrt, das bedeutete mitten im Kalten Krieg, dass sich die verfeindeten Supermächte Sowjetunion und USA gegenseitig aus dem Weltraum heraus mit Atomwaffen beschiessen können – und wir in Deutschland waren mittendrin!

Alle, die über 50 sind, werden sich noch an den erbitterten Wettlauf zum Mond erinnern, den die Amerikaner gewonnen haben: mit der Landung von Apollo-11 im Meer der Ruhe. In der Aufbruchsstimmung der 60-er Jahre glaubte man, dass noch vor Ende des 20. Jahrhunderts Menschen auf dem Mars stehen würden. Wie wir wissen, ist es nicht so gekommen.

Die USA bauten dann ihre Space Shuttles, die Anfang der Achtzigerjahre sehr elegant und futuristisch aussahen. Sie sollten einen regelmäßigen Pendelverkehr in den erdnahen Weltraum aufnehmen – praktisch einmal pro Woche ein Art Linienflug in die Erdumlaufbahn machen. Man hoffte auf Kunden aus der Industrie und dem Militär, die sich schon etwas einfallen lassen würden, wie man den Weltraum nutzen kann. Auch daraus wurde bekanntlich nie etwas.

Die Sowjetunion ging einen anderen Weg. Sie schickte Anfang der Achtzigerjahre ihre damals hochmoderne Raumstation Mir ins All und sorgte dafür, dass die menschliche Präsenz im Weltraum seitdem nie abriss. Und schließlich, ab Ende der 1990-er Jahre baute man gemeinsam die Internationale Raumstation ISS. Danach, könnte man meinen, ist eigentlich nicht mehr viel Spektakuläres passiert. Die Astronauten, die man so kennt, sind großenteils schon lange im Rentenalter – hier sehen wir die Crew von Apollo-11 vor einer Nachbildung ihrer Mondlandefähre. Und die Begeisterung für Heldentaten im All hat – zumindest hierzulande – merklich nachgelassen.

Wo also stehen wir heute nach 50 Jahren bemannter Raumfahrt? Hat die Raumfahrt in Zeiten leerer Kassen überhaupt eine Zukunftsperspektive?

Doch zunächst möchte ich Ihnen einen Film zeigen, den wir Anfang 2010 in Moskau gedreht haben. Er zeigt wie alles anfing, vor mehr als 50 Jahren.

Filmeinspielung: wissensWERTH „Eroberer des Weltraums“

Es ist vielleicht den wenigsten bewusst, dass seit 1986 – also seit 25 Jahren mit nur ganz wenigen Unterbrechungen – permanent Menschen im All leben und forschen. Aber es ist immer noch ein exklusiver Club von nur 520 Spezialisten, die die Erde von aussen gesehen haben. Und da sind die sieben Weltraumtouristen schon mitgerechnet.

Was wir hier sehen, ist das größte technische Projekt, dass die Menschheit je gemeinsam unternommen hat. Man könnte in Anlehnung an Michail Gorbatschows Bild von ‚Gemeinsamen Haus Europa’ auch sagen: das gemeinsame Haus der Menschheit im Weltraum. Die ISS ist nach 13 Jahren Bauzeit im vergangenen Jahr fertig geworden und nun voll funktionsfähig. 15 Partnerländer haben sie gemeinsam gebaut. Sie fliegt in etwa 380 Kilometern Höhe in 90 Minuten einmal um die Erde – also am Tag 16 Mal. Auf der Station gibt es drei große vollausgestattete Labors, nämlich ‚Destiny’ im amerikanischen Teil der Station, das europäische Columbus-Labor und das gigantische japanische Labor Kibo. Außerdem gibt Außenanlagen zur Sonnen- und Klimaforschung und seit kurzem das Alpha-Magnet-Spektrometer, das die kosmische Strahlung analysiert und u.a. nach Antimaterie sucht. Die Station hat eine Stammbesatzung von sechs Personen und ist von der US-Regierung zum ‚nationalen Forschungslabor’ geadelt worden.

Europa ist seit 2008 ein vollwertiger Partner auf der Raumstation. Damals wurde das europäische Columbus-Labor angedockt. Die ESA hat damit gewissermaßen Bauherrenstatus bekommen – wie in einer Anlage mit Eigentumswohnungen. Europa darf nun regelmäßig eigene Astronauten zur Station schicken. Es gab sogar mal für kurze Zeit einen europäischen Kommandanten, den Belgier Frank de Winne.

Das erste Bauteil für die ISS war am 20. November 1998 – also vor 13 Jahren – ins All gebracht worden. Der Aufbau hat sich enorm verzögert. Hauptsächlich, weil die Space Shuttles nach dem Columbia-Unglück jahrelang nicht mehr fliegen durften. Aber nun ist sie fertig und es muss sich zeigen, ob die Industrie die Forschungsmöglichkeiten dort oben annimmt. Man hat sich das früher so vorgestellt, dass in der Schwerelosigkeit industriell Produkte mit ganz besonderen Eigenschaften hergestellt werden könnten: hochreine Legierungen, besonders große und regelmäßig geformte Kristalle, neuartige Pharmawirk-stoffe und ähnliches. Aber Produkte ‚Made in Space’ sind bisher eine Vision geblieben.

Stattdessen treibt die Vermarktung von Weltraumerzeugnissen eher kuriose Blüten. So brauen die Japaner ein Bier namens ‚Space Barley’ aus Gerstenkörnern, die die Erde umkreist haben. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt und da stehen wir erst ganz am Anfang.

Wissenschaftliche Projekte gibt es schon recht viele. Und jeden Samstag erscheint auf den Webseiten der NASA eine Zusammenfassung über den Fortschritt sämtlicher Experimente an Bord. Es gibt auch schon die ersten Anwendungen auf der Erde. Deutsche Forscher beispielsweise haben Experimente mit kalten Plasmen gemacht und nebenbei ein völlig neues Verfahren zur Desinfektion entwickelt, für das sich auch die Industrie interessiert. Man darf also gespannt sein, was von dort oben noch an Innovationen zur Erde zurückkommt. Die Station hat noch etwa 10 Jahre Forschungsbetrieb vor sich. Die Partnerländer denken aber schon darüber nach, die Laufzeit bis 2028 zu verlängern. Von der russischen Raumstation Mir weiß man, dass die Bauteile recht stabil sind und bei guter Wartung durchaus ein paar Jahre länger halten als vorgesehen.

Aus meiner Sicht ist aber der größte Erfolg der ISS gar nicht mal ihre Funktion als Forschungslabor, sondern als Testfeld für die internationale Zusammenarbeit. Vor 25 Jahren war es noch undenkbar, dass Amerikaner und Russen ein gemeinsames Hightech-Projekt mit internationalen Partnern betreiben. Heute ist es Wirklichkeit, und es funktioniert so gut wie reibungslos, selbst in Krisensituationen. Als kürzlich eine Sojus-Rakete vom Kurs abkam und der Versorgungsfrachter Progress abstürzte, da gab es keine Vorwürfe oder Schuld-zuweisungen, sondern professionelles bilaterales Krisenmanagement, so wie man es sich in anderen Bereichen auch wünschen würde. Die NASA verlässt sich voll auf die Partner in Moskau und nimmt sogar hin, dass die Hälfte des Jahres Amerikaner unter dem Kommando von russischen Kommandanten arbeiten und umgekehrt genauso. Die Crews bleiben ja jeweils ein halbes Jahr an Bord und mit jeder neuen Crew wechselt auch das Kommando. Gestern hat übrigens gerade die 30. Langzeitbesatzung an der ISS angedockt!

Seit Juri Gagarins erstem Raumflug sind Menschen aus 38 Ländern in den Weltraum geflogen, auch aus Staaten, an die man beim Stichwort Raumfahrt normalerweise nicht denkt, wie Malaysia und Vietnam, Afghanistan, oder die Niederlande und die Slowakei. Die Raumfahrt ist also richtig international geworden, und gerade für die kleineren Länder ist es ein Riesen-Event, wenn einer der eigenen Bürger dort oben hinfliegt. Für Staaten wie Korea, Indien und Brasilien ist es eine Prestigesache: wer Raumfahrt betreibt, beweist für alle sichtbar, dass er technologisch ganz vorne mithalten kann. Es markiert auch einen Anspruch: wir wollen dabei sein, wenn die wirtschaftliche Nutzung des Weltraums richtig in Fahrt kommt.

Wenn Sie sich jetzt fragen, warum ich so lange über die ISS spreche, die man ja nun schon eine Weile kennt, dann ist die Antwort ganz einfach: Weil die ISS für viele Jahre das einzige Ziel im Weltraum bleiben wird, das man mit der heutigen Technik erreichen kann. Sie stand lange im Schatten des ehrgeizigen Constellation-Zukunftsprogramms von George W.Bush, der heraus wollte aus der Erdumlaufbahn. Aber heute ist sie das einzige wirklich greifbare Stück Zukunft im Weltraum, und ich denke, ihre eigentliche Bewährungsprobe hat sie noch vor sich. Von Mond und Mars möchte ich dann anschließend sprechen, aber zunächst noch mal einen kurzen Film zeigen über die Epoche der Space Shuttles die ja lange Zeit der Inbegriff der Raumfahrt waren.

Filmeinspielung: wissensWERTH: Raumschiff a.D. das Ende der Space Shuttles

(Diesen Film können Sie sich mit folgendem Link anschauen:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1399916/wissensWERTH-Raumschiff-a.D.?bc=the;kua542 )

Das Ende der Space Shuttles bedeutet ja die bisher größte Zäsur in der Geschichte der Raumfahrt. Denn es bedeutet auch das Ende der amerikanischen Vormachtstellung im All. Zwar haben die USA immer noch ein riesiges Budget für Raumfahrt, aber sie haben jetzt für lange Jahre die Fähigkeit verloren, vom eigenen Territorium aus Menschen ins All zu bringen. In der US-Raumfahrt erleben wir unter Präsident Obama einen radikalen Kurswechsel. Obama möchte die Transporte in die Erdumlaufbahn, also die Versorgungs- und Taxiflüge zur ISS, der Privatindustrie überlassen. Die NASA soll sich auf ehrgeizigere Ziele, also auf Flüge hinaus aus der Erdumlaufbahn konzentrieren. Für die Umstrukturierung der US-Raumfahrt gibt es für die laufende Fünf-Jahres-Haushaltsperiode sechs Milliarden Dollar mehr. Die NASA leitet dieses Geld großenteils weiter an die Industrie, die die neuen Raketen und Raumschiffe entwickeln soll. Der Weltraumflughafen in Cape Canaveral soll weitgehend an die Industrie übergeben werden als eine Art Innovationspark für die Entwicklung künftiger Raumfahrttechnologien.

Es gibt bereits Verträge mit Firmen wie SpaceX, die dem Pay Pal Gründer Elon Musk gehört. SpaceX will mit einer selbstentwickelten Rakete, der Falcon 9, demnächst einen unbemannten Versorgungsflug zur ISS durchführen. Demnächst ist allerdings ein dehnbarer Begriff. Eigentlich sollte dieser Flug schon in diesem Herbst stattfinden. Realistischer ist wohl ein Termin im kommenden Jahr oder gar erst 2013. Die Rakete trägt ein unbemanntes Frachtraumschiff namens ‚Dragon’. SpaceX entwickelt aber auch Pläne, es in einer bemannten Version für vier bis sechs Astronauten zu bauen.

Auch der Luft- und Raumfahrtkonzern Boeing hat sich im Kennedy Space Center in Cape Canaveral eingemietet. Im ehemaligen Shuttle-Hangar soll eine neue Raumkapsel ebenfalls für vier bis sechs Astronauten für Missionen außerhalb der Erdumlaufbahn entstehen. Es ist also nicht mehr die NASA, die in Eigenregie Raketen und Raumschiffe entwickelt, sondern wir werden einen Wettbewerb zwischen verschiedenen Firmen erleben, die sich im Geschäft mit der bemannten Raumfahrt etablieren sollen. Ob das allerdings ein Geschäft werden kann? Da gibt es mehr als ein Fragezeichen. Es gibt durchaus Stimmen, die darauf hinweisen, dass an der Sicherheit der Astronauten nicht gespart werden darf, und dass sich bemannte Raumfahrt deshalb nie in einem kommerziellen Sinn ‚rechnen’ wird.

Präsident Obama hat ja das ‚Constellation’- Zukunftsprogramm seines Vorgängers George Bush mit einem Fahrplan für den Flug zum Mars komplett aufgegeben. Die geplante Rakete für bemannte Transporte ‚Ares-1’ – eine Art Taxi ins All – wurde gestrichen. Was danach kommt, ist erst in Konturen erkennbar. Auf jeden Fall wird es eine Trennung von Personen- und Lastentransport geben. D. h. Raumfahrzeuge wie die Shuttles, die Tragflächen haben und wie Flugzeuge landen können, werden wir so schnell nicht wiedersehen. Die NASA kehrt zur Kapseltechnologie zurück wie zu Zeiten des Apollo-Projekts. Die Idee gab es schon unter George Bush, damals sollte die Kapsel für 4 bis 6 Astronauten ORION heißen, inzwischen wurde sie umgetauft im MPCV – Multipurpose Crew Vehicle. Langfristig soll das Fernziel MARS erhalten bleiben. Auch der Flug zu einem Asteroiden wird in Erwägung gezogen. Dafür baut die NASA einen neuen sog. Schwerlastträger auf der Basis vorhandener Technologien. Die Rakete soll noch schubstärker werden als die Saturn-5-Mondrakete und ist damit für Missionen außerhalb der Erdumlaufbahn geeignet.

Übrigens sind in der Zwischenzeit viele ehemalige US-Astronauten in die Industrie abgewandert. In der Space Shuttle Ära brauchte die NASA bei durchschnittlich vier Flügen im Jahr 28 Besatzungsmitglieder für die laufenden Flüge. Plus noch mal mindestens die doppelte Anzahl, die für die darauffolgenden Missionen trainieren. In Zukunft gibt es aber nur noch zwei Mal im Jahr die Sojus-Flüge für den Austausch der Langzeitbesatzungen auf der ISS. Also werden nur noch drei oder vier bis Amerikaner pro Jahr in den Weltraum fliegen – und die müssen den Umweg über Moskau und Baikonur machen.

Für die nächsten vier, fünf Jahre haben die Russen also das Monopol für bemannte Flüge in den Weltraum und entsprechend selbstbewusst treten sie auf.

Russlands Pläne im Weltraum sind ehrgeizig und nach einer langen Phase des Niedergangs gibt es nun auch wieder mehr Geld für Raumfahrtprojekte. Meine Liste ist nicht vollständig, aber sie gibt einen Eindruck über einige der Leuchtturmprojekte.

Russland baut einen neuen Weltraumflughafen in Wostochny am Amur in Sibirien, weil man unabhängig von Kasachstan werden möchte. Das jetzige Kosmodrom in Baikonur liegt ja in der Kasachischen Steppe, und seit Kasachstan nach dem Zerfall der Sowjetunion unabhängig geworden ist, müssen die Russen dort jedes Jahr einen Betrag im Hundert-Millionen-Bereich an Miete zahlen. Außerdem legen die Kasachen, wenn es Pannen gibt, öfter mal den kompletten Flugbetrieb für ein paar Wochen lahm. Also treibt Moskau mit Hochdruck den Bau des neuen Kosmodroms voran. Es soll schon 2015 in Betrieb gehen.

Außerdem gibt es ein Kooperationsprojekt mit Europa: in Kourou in Französisch-Guyana ist kürzlich eine Startrampe für russische Raketen in Betrieb genommen worden. Damit will Russland das Geschäft mit den kommerziellen Nutzlasten ausbauen – also Navigationssatelliten, Fernmeldesatelliten u.ä.. Die ersten Passagiere waren die ersten beiden Europäischen Satelliten für das Navigationssystem Galileo. Und der Start hat geklappt wie im Bilderbuch – im tropischen Dschungel genauso gut wie in der staub- trockenen Steppe.

Ganz wichtig ist den Russen eine Station in der Erdumlaufbahn. Wenn es die ISS eines Tages nicht mehr gibt, und falls es dann kein neues internationales Gemeinschaftprojekt gibt, wird man wohl wieder eine russische Raumstation bauen. Das höre ich jedenfalls immer wieder, wenn ich in Moskau bin.

Eine weitere Idee ist, eine große Plattform in 1.000 Kilometern Höhe zu bauen, gewissermaßen als Hafen für interplanetare Raumschiffe zu Mond und Mars. Nach wie vor sehr stark ist die Idee einer industriellen Nutzung des Mondes, also Abbau von Mineralien und Verlagerung von umweltbelastenden Industrien auf den Mond. Aber das liegt außerhalb des laufenden Fünfjahresplans.

Die Russen wollen auch weiterhin Geschäfte mit Weltraumtouristen machen. Die Rede ist von einer neuen Sojus-Kapsel, die vier bis sechs Kosmonauten aufnehmen kann und mit der man Touristenflüge um den Mond anbieten will – für 100 Mio. Dollar pro Nase! Vielleicht sollte ich hier erwähnen, dass das Geschäft mit dem Weltraumtourismus bisher ausschließlich die Russen machen. Alle sieben Weltraumtouristen – überwiegend US-Staatsbürger – haben ihre Tickets ins All bei den Russen gekauft!

Es ist aber nicht alles Gold, was glänzt, in der russischen Raumfahrt. In den wirtschaftlich schwierigen 1990-er Jahren sind viele Fachkräfte ins Ausland abgewandert. Außerdem wurden große Bereiche aus dem militärischen Sektor in zivile Verwaltung überführt. Dabei hat die Industrie anscheinend die Intensität der Kontrollen verringert, und das hat der Qualität offenbar nicht gut getan. Jedenfalls gab es in den letzten Monaten eine Reihe von Pannen mit Systemen, die sonst als sehr zuverlässig bekannt sind. Jüngstes Beispiel: der Fehlschlag der Mission Phobos-Grunt. Die Raumsonde sollte zum Mars-Mond Phobos fliegen, aber weil das Triebwerk nach Erreichen der Erdumlaufbahn versagte, hängt Phobos-Grunt nun im Erdorbit fest und wird voraussichtlich in den nächsten Wochen zur Erde zurückstürzen. Das ist ein besonders herber Rückschlag für die russische Raumfahrt, denn es gibt einen großen Nachholbedarf bei wissenschaftlichen Missionen. In den 60-er und 70-er Jahren hat die Sowjetunion Maßstäbe gesetzt mit ihren robotischen Missionen zum Mond mit Probenrückführung und Mondfahrzeugen. Aber seit Jahrzehnten hat es praktisch keine derartigen wissenschaftlichen Missionen mehr gegeben.

Sehr konsequent baut Moskau sein know how in Sachen Langzeitflüge aus. Im Institut für biomedizinische Probleme ist gerade das Experiment Mars-500 erfolgreich zu Ende gegangen. Sechs Freiwillige verbrachten 520 Tage eingeschlossen in einem Container, um einen Flug zum Mars zu simulieren. Dabei ging es hauptsächlich um die psychologischen und gruppendynamischen Aspekte. Wie kommen die Probanden mit der Isolation, dem Stress, der Langeweile, den kulturellen Unterschieden und nicht zuletzt mit einem bis in die kleinsten Einzelheiten vorgeplanten Missionsablauf zurecht? Die Ergebnisse waren ermutigend. Alle sechs haben bis zum Ende durchgehalten. Keiner wurde krank, und die unvermeidlichen Konflikte haben sie auch in den Griff bekommen. Für die Forscher war der Versuch sehr ergiebig: sie konnten Erfahrungen sammeln, wie man eine Crew gesund und bei Laune hält, die 520 Tage lang kein Tageslicht sieht und nichts Frisches zu essen bekommt.

Neben drei Russen nahmen auch zwei Europäer und ein Chinese an dem Versuch teil. Die NASA war nicht mit Astronauten beteiligt. Aber Russen und Amerikaner überlegen jetzt, ein ähnliches Isolationsexperiment evtl. in einem abgeschotteten Modul der Internationalen Raumstation zu wiederholen – also unter echten Weltraumbedingungen.

Die Tatsache, dass ein Chinese an dem Experiment beteiligt war, zeigt, wie konsequent China darauf hinarbeitet, seine Position als Weltraummacht auszubauen.

2003 flog der erste sog. Taikonaut Yang Liwei in den Erdorbit. Mit der Rakete Langer Marsch und in einem chinesischen Raumschiff. Shenzou 5 ist stark von den russischen Sojus-Kapseln inspiriert. Aber China hat inzwischen viel eigenes know how aufgebaut und ist das dritte Land, dass mit eigenen Trägerraketen Menschen ins All bringen kann. 2005 flog mit Shenzou 6 ein Taikonauten-Duo und drei Jahre später mit Shenzou 7 eine dreiköpfige Besatzung, die auch einen Weltraumspaziergang durchführte.

Die jüngsten Meilensteine sind der Start des ersten Moduls einer chinesischen Raumstation im September und das erfolgreiche Docking mit dem Raumschiff Shenzou vor wenigen Tagen. Mit Shenzou 8 startete auch ein deutsches-chinesisches Gemeinschafts-Experiment, die sog. Simbox als erste bilaterale Kooperation zwischen China und dem Ausland. Eine Delegation des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt konnte den Start vom Weltraumbahnhof Jiuquan in der Wüste Gobi aus beobachten und berichtete sehr beeindruckt von der Professionalität der Chinesen und deren Wunsch, mit Deutschland eine besonders enge und intensive Zusammenarbeit in der Raumfahrt zu beginnen.

Man munkelt, dass die erste Besatzung der chinesischen Raumstation eine reine Frauen-Crew sein könnte, gemäß Maos Devise, dass Frauen die Hälfte des Himmels tragen. Aber die Ziele sind noch viel weiter gesteckt. China will nicht nur ein eigenes Navigationssystem, sondern auch in die Erdbeobachtung und die kommerzielle Raumfahrt einsteigen.

Und China will zum Mond, und die Raumsonde Change war erst die Vorhut. Chang e, benannt nach der chinesischen Mondgöttin, flog 2007 zum Mond und umrundete ihn mehrere Monate lang, bevor sie geplant auf der Mondoberfläche aufschlug. Das Fernziel ist ein bemannter Flug zum Mond nach 2020 und eine dauerhaft bemannte Mondbasis in der Zeit danach.

Die große Frage ist, ob China bei all diesen Aktivitäten in die internationale Zusammenarbeit eingebunden wird oder ob es seinen eigenen Weg geht. Die chinesische Regierung hat Interesse bekundet, Partner auf der ISS zu werden. Aber das wird zurzeit noch von den USA blockiert.

Gemessen an Chinas Ehrgeiz im All muten Europas Pläne recht bescheiden an.

Die europäische Raumfahrt ist kommerziell erfolgreich mit den Ariane-Trägerraketen und dem Weltraumbahnhof in Kourou. Außerdem ist sie wissenschaftlich sehr aktiv mit zahlreichen Raumsonden, die zurzeit im Sonnensystem unterwegs sind oder demnächst starten. Ich nenne hier nur die Sonde Rosetta, die seit 2004 unterwegs ist und 2014 am Kometen Churiumow-Gerassimenko ankommen soll. Oder die Weltraumteleskope Herschel und Planck.

Ansonsten investiert man in Erdbeobachtung und Klimaforschung und in das europäische Navigationssystem Galileo. Auch ein Weltraumlagezentrum, das Gefahren aus dem All beobachtet, wird eingerichtet.

In der astronautischen Raumfahrt ist Europa weit weniger ambitioniert. Natürlich soll auf der ISS weiterhin geforscht werden. Aber das europäische Astronautenkorps, das einmal aus 16 Personen bestand, wird verkleinert. Zurzeit bereiten sich sechs Nachwuchsastronauten auf ihren ersten Flug zur ISS vor. Darunter ist als einziger Deutscher der Vulkanologe Alexander Gerst. Man ist auf Mitflüge in den russischen Sojuskapseln angewiesen und hat auf die Preisgestaltung der Russen nur begrenzten Einfluss.

An Mond- und Marsexpeditionen will man sich mit robotischen Sonden beteiligen. Es gibt derzeit in Europa keine konkreten Pläne, bei bemannten Missionen außerhalb der Erdumlaufbahn mit zu machen.

Kommen wir also zu der Frage: Wie wird es in den nächsten 20, 30 Jahren auf dem Gebiet der Raumfahrt weitergehen?

Ich bewege mich jetzt auf dünnen Eis, denn wie es so schön flapsig heißt: Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Wir haben in den letzten 20 Jahren erlebt, wie schnell gerade in der Raumfahrt Zukunftsprogramme über den Haufen geworfen werden, wenn das Geld knapp wird. Aber es gibt Anhaltspunkte und da ist vor allem die sog. Global Exploration Roadmap zu nennen.

2007 haben sich 14 Raumfahrtorganisationen zur International Space Exploration Coordination Group zusammengetan. Darin sind alle bedeutenden Raumfahrtnationen von den USA über Russland, Kanada, Japan, China und Europa vertreten, auch Länder wie Indien, Korea und die Ukraine. Ziel ist es, die Aktivitäten der einzelnen Mitglieder zu koordinieren und eine gemeinsame Strategie zur Erkundung des Weltraums in den nächsten 25 Jahren zu entwickeln. Im Klartext: es soll nicht wieder einen Wettlauf im Weltraum geben wie zur Zeit des Kalten Krieges.

Als Ziele der gemeinsamen Erkundung des Weltraums werden genannt:

Suche nach Leben im All
Expeditionen zu Zielen außerhalb des Erdorbits
Längerer Aufenthalt von Menschen auf anderen Himmelskörpern
Entwicklung der nötigen Technologien und Infrastruktur
Weltraum-Industrien zum Wohl der Erde
Abwehr von Gefahren, die die Erde bedrohen

Fernziel bei allen Aktivitäten bleibt der Mars. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Einerseits, weil sämtliche Technologien, die man dafür braucht, erst entwickelt werden müssen – von schubstarken Raketen bis zu Raumschiffen und Landegeräten und bewohnbaren Marsstationen.

Andererseits, weil man – wie damals bei Juri Gagarin – nicht weiß, wie der menschliche Organismus bei derart langen Flügen die Schwerelosigkeit und die hohe Strahlenbelastung verkraftet. Und nicht zuletzt ist unklar, wie die Psyche reagiert, wenn Raumfahrer jahrelang in der Dunkelheit des Weltalls unterwegs sind, ganz auf sich allein gestellt, während beide – der Heimatplanet Erde und der Mars nur noch leuchtende Pünktchen in der Unendlichkeit sind.

Die Roadmap sieht zwei Varianten auf dem Weg zum Mars vor:

‚Mond zuerst’ – also zurück zum Mond, um die notwendigen Technologien für interplanetare Missionen zu entwickeln oder

‚Asteroid zuerst’ – also ein bemanntes Raumschiff auf einem Asteroiden landen zu lassen – quasi als Generalprobe für einen Flug zum Roten Planeten.

Mit der Landung von Menschen auf dem Mars ist wohl nicht vor 2035 zu rechnen. Ziemlich sicher ist, dass der Flug eine internationale Mission sein wird, jedenfalls ist das das klare Bekenntnis sowohl der amerikanischen wie der russischen Raumfahrtorganisationen. Kein Land alleine, heißt es, könne ein so schwieriges und kostspieliges Projekt schultern.

Künstler haben schon mal die Phantasie spielen lassen, wie eine solche Mission aussehen könnte. Menschen von der Erde am Rand eines Mars-Canyons mit Blick auf Olympus Mons, den höchsten Berg des Sonnensystems. Die drei Raumfahrer seien ein Russe, ein Amerikaner und ein Europäer, heißt es …. oder vielleicht eine Europäerin? ….. und der, der das Foto gemacht hat, sei ein Chinese …

In 50 Jahren bemannter Raumfahrt hat man gelernt: Menschen können auf lange Zeit, über Monate, und vielleicht auch Jahre im Weltraum leben und arbeiten. Menschen sind Robotern in vieler Hinsicht überlegen, wenn es um die Erkundung fremder Welten geht. Sie sind flexibel und können mit all ihrer Intelligenz und Erfahrung auf das reagieren, was sie vorfinden. Sie können Situationen selbständig bewerten und kreative Schlussfolgerungen ziehen. Aber es wird immer sehr viel teurer sein, Menschen hinaus ins All zu schicken als Maschinen. Vermutlich werden Menschen und Roboter eines Tages Partner im Weltraum sein.

Teilweise sind sie es schon heute. Auf der ISS ist vor kurzem der erste ‚Robonaut’ eingezogen. Und das Deutsche Forschungszentrum für künstliche Intelligenz hier in Saarbrücken arbeitet mit großem Erfolg daran, Roboter intelligenter und selbständiger zu machen, und neuartige Mensch-Maschine-Schnittstellen zu entwickeln.

Was man ganz sicher sagen kann, ist, dass die Raumfahrt unser Bild des Kosmos nachhaltig verändert hat: Dieser Holzschnitt erinnert an die sog. kopernikanische Wende: als man erkannte, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist. Neugierig blickt der Mensch hinaus in unbekannte Weiten, und staunend, wie groß das Weltall ist und wie klein unsere irdische Welt.

Mit Apollo 8 haben dann erstmals Menschen das Schwerefeld dieser Erde verlassen und den Heimatplaneten als leuchtende Kugel aus einer Entfernung von mehr als 300.000 Kilometern gesehen. Kosmisch gesehen nicht mehr als ein Katzensprung. Das Bild der Erde über dem Mondhorizont hat uns bewusst gemacht, wie einzigartig schön und wie zerbrechlich unser Blauer Planet ist.

Vom Mars aus betrachtet schrumpft die Erde zu einem winzigen Pünktchen unter unzähligen anderen. Dieses Foto ist echt. Es wurde vom amerikanischen Marsrover Opportunity aufgenommen.

Und wenn man das Ganze mal von noch weiter draußen betrachten könnte, dann würde klar, wo unsere Heimat ist: in einem ziemlich unscheinbaren Sonnensystem ziemlich am Rand eines Seitenarms der Milchstraße. Und es wird auch klar, dass der Weltraum kein bedeutungsloses ‚Da draußen’ ist, das man ignorieren kann. Im Gegenteil. Er ist unser Biotop und wir sind ein Teil davon. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!“

Fragen:

Herr Luthe fragt, ob man aus der internationalen Zusammenarbeit auf die fehlende Relevanz der Raumfahrt im militärischen Bereich schließen kann.

Frau Werth antwortet, dass es sich bei der ISS um ein rein ziviles Projekt handelt. Es gibt aber sicherlich auch militärische Projekte im Bereich der Raumfahrt, die für Journalisten nicht zugänglich sind. Zwischen Russland und den USA existieren im Bereich der Raumfahrt keine Konflikte mehr.

Anschließend erkundigt sich Herr Luthe nach dem Bezug des Saarlandes zum Weltraum.

Frau Werth merkt an, dass zahlreiche saarländische Gemeinden namentlich im Weltall vertreten sind. Ein Asteroidenforscher aus Jena hat das Saarland an den Himmel gebracht, indem er seine Neuentdeckungen nach saarländischen Gemeinden benannt hat. Diese Namen sind von der Internationalen Astronomischen Union in Cambridge offiziell anerkannt. Es existiert auch ein Asteroid „Saarland“. Ein weiterer Bezug besteht darin, dass der Astronaut Reinhold Ewald Verwandte in Merzig hat. Darüber hinaus werden Teile der Ariane Trägerrakete in Völklingen hergestellt. Weiterhin können die Forschungsergebnisse des DFKI im Bereich Robotik für die Raumfahrt nutzbar gemacht werden.

Herr Dr. Schneider merkt an, dass auch Softwareprogramme für die Ariane Trägerrakete von der Universität des Saarlandes stammen. Außerdem fragt er nach, ob die Trägerraketen für eine Reise zum Mars weniger Schubkraft benötigen, wenn sie bereits aus einer Höhe von 1.000 km starten?

Frau Werth bestätigt, dass es einfacher ist, von einer Plattform aus zum Mars zu fliegen. Auch beide Szenarien für die Marsmission basieren auf dem Plattformansatz.

Anschließend weist Frau Werth auf drei lesenswerte Bücher aus dem Bereich Weltall hin.

Der Sternenhimmel: Ein Routenplaner zu Sonne, Mond und Sternen, Eckhard Slawik, Spektrum Verlag
Vom All in den Alltag. Der Weltraum-Labor und Marktplatz, Berndt Feuerbacher / Ernst Messerschmid, Motorbuch Verlag
Thomas Reiter: Leben in der Schwerelosigkeit, Hildegard Werth, Herbig Verlag

Mit dem folgendem Link gelangen Sie zum Video der Veranstaltung:

Auf unserem Flickr-Account können Sie sich die Fotos anschauen:

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