Saarlandbotschafterveranstaltung mit Prof. Dr. Christof E. Ehrhart

Am 19. Februar hielt Dr. Christof E. Ehrhart , im Rahmen der Vortragsreihe der Saarlandbotschafter, einen Vortrag zum Thema: „Die Globale Wirtschaft im Jahr 2050 – Szenarien und Trends“ im DFKI auf dem Uni Campus in Saarbrücken.

1.      Der Vorstand der SHS Foundation Michael Hartz begrüßt die Anwesenden, den Referenten Prof. Dr. Christof E. Ehrhart und Herrn Reinhard Karger als Gastgeber im Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (DFKI).

2.       Reinhard Karger stimmt das Publikum auf das Thema ein, indem er anhand einer beispielhaften technologischen Entwicklung des DFKI einen Ausschnitt eines möglichen Zukunftsszenarios entwirft. Die Verpackung eines Supermarktartikels wird mit einer speziellen Substanz in spezifischer Weise so bedruckt, dass man mit Hilfe eines High-Tech-Mobiltelefons Produktinformationen, u.a. den Preis einlesen kann. Mit dem Mobiltelefon kann dann eine Verbindung zur Bank hergestellt und die Ware bezahlt werden, ohne einen „Umweg“ über Supermarktkasse und EC-Karte gehen zu müssen.

3.      Herr Prof. Dr. Ehrhart erhält das Wort. Er ist gekommen, um über die Zukunft zu sprechen, sagt aber zunächst ein paar Worte zur Vergangenheit. Er hat vor 16 Jahren seine Promotion an der Universität des Saarlandes abgeschlossen und ist gern Saarlandbotschafter, weil er das Saarland als „geistige Heimat“ betrachtet.

2050 höre sich „weit weg“ an, er selbst wäre dann 84 Jahre alt: Warum beschäftigt sich ein Unternehmen wie DHL mit dem Thema?

„Die Deutsche Post ist ein sehr altes Unternehmen, es existiert seit 500 Jahren. Bis in die 80er Jahre hinein waren wir ein Staatsunternehmen, das Verluste gemacht hat. Heute ist das Unternehmen privatisiert und höchst profitabel. Damit das so bleibt ist es wichtig, alternative Zukunftsszenarien zu kennen und auf deren Basis die weitere Entwicklung mitzugestalten.

Der Konzern Deutsche Post DHL besteht aus zwei Säulen: Aus dem klassischen Brief- und Paketgeschäft (Deutsche Post) und dem internationalen Logistikgeschäft (DHL). DHL ist benannt nach den Gründern Adrian Dalsey, Larry Hillblom und Robert Lynn und hat das moderne Expressgeschäft in der Logistik erfunden. Nur in einem Land der Erde (Turkmenistan) ist das Unternehmen nicht aktiv. Der Konzern bewegt täglich bis zu 5% des Welthandels.

Wir befinden uns in einer Zeit massiver Veränderungen. Vier wichtige Veränderungswellen sind besonders kennzeichnend.

–         Dritte Welle der Globalisierung: Schwellenländer und so genannte Dritte-Welt Länder sind nicht mehr nur Verkaufs- und Produktionsstandorte für die Weltwirtschaft sondern sie kommen nun mit ihren eigenen Produkten und Dienstleistungen zu uns zurück. In diesen Ländern werden inzwischen vermehrt Produkte für den Import in den alten Industrienationen produziert.

–         Nachhaltigkeitsanforderungen: Es besteht eine Nachfrage nicht nur nach effizienten sondern auch nach nachhaltigen Produkten, z.B. mit einem geringen Ausstoß von CO2.

–         Digitale Vernetzung: Die Weltwirtschaft ist hyperkomplex vernetzt. Der größte Teil des Geldes ist längst online, wird online bewegt und gespeichert.

–         Soziale Fragmentierung: Gesellschaften sind hinsichtlich ihrer Werte, individuellen Interessenlagen und auch Kundenbedürfnisse nicht länger homogen, sondern zerfallen in viele Segmentem, die auch ein Unternehmen berücksichtigen muss.Logistikunternehmen sind sowohl Treiber als auch Gegenstand des Wandels.

Sie sind Treiber, denn:

–         Logistik verbindet die globale Wirtschaft und liefert Wohlstand.

–         Die Logistik ist mit einem Jahresumsatz von rund 1 Billion € die größte Branche in der EU.

–         Transport & Logistik verursachen aber auch 13% der globalen CO2-Emissionen. Die Herausforderung liegt darin, die Emissionen gering zu halten und zugleich den Beitrag der Logistikindustrie zur globaler Wohlstandsmehrung zu erbringen.

Die Logistikbranche ist Gegenstand des Wandels:

–         Politische Veränderungen wie der Fall des Eisernen Vorhangs gegen Ende der 80er Jahre ziehen umfangreiche Konsequenzen für die gesamte Branche nach sich. Auch die jüngste Wirtschaftskrise hatte dramatische Auswirkungen.

–         Veränderte Sicherheitsanforderungen, z.B. nach dem 11.09.2001, hatten ebenfalls große Bedeutung für weltweite Logistik.

–         Naturkatastrophen, wie die Aschewolke in Folge des Ausbruches eines Vulkans auf Island, haben unvorhersehbare Folgen für Logistikketten.

DHL ist ein Unternehmen das in der Welt agiert, die Welt damit verändert, das aber auch durch globale Trends verändert wird. Wir müssen uns überlegen, wohin die Entwicklung geht. Dazu wurden in letzter Zeit zwei Studien in Auftrag gegeben:

1. Globale Vernetzung: Wie stark ist die Vernetzung der Welt fortgeschritten und in welchem Ausmaß ist die Vernetzung geographisch differenziert?

2. Zukunft der Globalisierung im Jahre 2050: Was wird die Realität dann prägen? Wir müssen in Alternativen denken, Weitblick beweisen!

ad 1) Der Global Connectedness Index (GCI) ist ein komplexes Maß für die Verknüpftheit einer Region, eines Landes. Friedman behauptete: „The world is flat!“ Die Globalisierung sei längst, absolut und überall Realität. Andere Experten meinen allerdings „Stimmt nicht: Weit davon entfernt!“ Die regionalen Zusammenhänge seien wichtig. Der Global Connectedness Index zeigt in der Tat, dass die Vernetzung im Jahre 2007 einen Höhepunkt erreicht und sich in den Folgejahren auf niedrigerem Niveau eingependelt hat: Es gibt also Nachholbedarf!

Die globale Verknüpftheit lässt sich anhand von vier Formen und zwei Dimensionen beschreiben. Formen sind Handel, Kapital, Informationen, Personen, wie offen ist ein Land für Migration?

Dimensionen sind Tiefe oder Intensität der Verbindungen und die Reichweite des Netzwerkes: Welcher Anteil eines bestimmten Verkehrsstromes überquert nationale Grenzen? Sind die Verkehrsströme zwischen Partnerländern global oder regional verteilt?

Bezüglich der Formen zeigt sich, dass es kaum Unterschiede bei den Personen gibt. Das Niveau der Migration ist weltweit in etwa konstant geblieben. Der Handel allerdings ist seit 2009 deutlich zurückgegangen, ebenso der Transfer von Kapital. Der weltweite Informationsstrom ist auf hohem Niveau stagniert.

Im Ranking der am besten vernetzten Volkswirtschaften liegen die Niederlande ganz vorne. Das hat historische und mentalitätsbedingte Hintergründe. Des Weiteren gibt es geographische und politische Vorteile. Die EU-Mitgliedschaft zahlt sich aus. Es zeigt sich: Die europäische Integration ist für Wohlstand durch Handel sehr wichtig.

Luxemburg und die Schweiz liegen ebenfalls weit vorne. Was daran liegt, dass sie früh begonnen haben sich in der Weltwirtschaft zu positionieren. Große Fortschritte hat Mozambique mit seiner gezielten Politik der Exportförderung gemacht. Deutschland und Italien profitieren von hohen Kapitalzuflüsse ihrer hoch-entwickelten Industrien.

Zentrale Erkenntnisse aus dieser ersten Studie sind: Die Weltwirtschaft ist noch nicht global. Die Welt ist nicht so vernetzt, wie oft angenommen: Häufig liegt der Globalisierungsgrad unter 10%. Wesentliche Verkehrsströme fließen innerhalb, nicht zwischen Regionen

Die Globalisierung hat gerade erst begonnen. Es gibt noch ungenutzte Potenziale.

ad 2.) Die Welt im Jahre 2050

Im Rahmen dieser Studie wurden fünf Szenarien über den Zustand der Welt in 40 Jahren entwickelt. Diese sind idealtypisch – keines wird genau so eintreten. Vielmehr werden wir Gemengelagen aus einzelnen Aspekten erleben. Inhaltlich beschäftigen sich diese Szenarien mit der Welt im Allgemeinen und der Logistikindustrie im Speziellen. Der Fokus lag auf Projektionen der wichtigsten wirtschaftlichen, geopolitischen, sozialen und technologischen Treiber. Wie verändern diese die Welt, wie lässt sich das in Szenarien clustern? Relevanz haben die Analysen für die Szenarien sowie daraus abgeleiteten Strategien. Als Quellen wurden hochkarätige interne Expertise sowie namhafte externe Experten genutzt. Darunter waren mit Klaus Töpfer und Eberhard Sandschneider auch zwei Saarländer. Neben Zukunftsforschern wurden weiterhin auch Science Fiction Autoren einbezogen.

Im ersten Schritt wurden die wesentlichen Einflussfaktoren des wirtschaftlichen Wandels bestimmt und zu 14 Schlüsselfaktoren verdichtet, darunter z.B. Regulierungs- und Ausgabenpolitik: Wie geht es weiter mit dem „deficit spending“ der öffentlichen Haushalte oder mit dem Einkommensniveau und der -verteilung? Geht die Schere zwischen Armen und Reichen weiter auseinander? Anhand dieser Schlüsselfaktoren wurden Projektionen erzeugt, die zu 5 Szenarien geclustert wurden:

1.      Zügelloses Wachstum, drohender Kollaps

Um immer mehr Wachstum zu erzeugen bleibt selbst die Zerstörung des Ökosystems kein Tabu mehr. Selbst konsequente Ausbeutung von Ressourcen stillt den Hunger nach Wachstums nicht mehr. Die Hersteller lagern ihre Logistikprozesse aus. Der Klimawandel führt zur Öffnung arktischer Handelsrouten. Aber extreme Wetterereignisse bedrohen etablierte Transportwege.

2.      Megaeffizienz in Megastädten

Große Städte spielen als wesentliche Lebensformen eine große Rolle. Die vorrangigen Akteure sind allerdings noch wie vor Nationalstaaten. Die Frage ist zum einen: Was passiert mit ländlichen Gebieten? Wie kann etwa die Versorgung der dort lebenden Menschen sichergestellt werden? Zum anderen wird die Logistik innerhalb dieser Megastädte ganz neu organisiert. Es wird nicht mehr sinnvoll sein, dass verschiedene Unternehmen, die gleichen Dienstleistungen ausführen und dabei auf jeweils eigene Ressourcen zurückgreifen. Auch werden sich völlig neue Transportmittel (z.B. unbemannte Transportflüge) werden sich entwickeln. Die Logistik wird zum Rundum-Sorglos Dienstleister: Inkl. Abtransport von Verpackung, etc..

3.      Individualisierte Lebensstile

Die Wünsche und Lebensformen differenzieren sich weiter aus. Technologien wie Fabbing und 3D-Printing setzen sich durch: Sogar in privaten Haushalten lassen sich „Drucker“ installieren, die ganze Werkstücke „ausdrucken“,  z.B. Fahrradschläuche, synthetische Kleidungsstücke. Die Folge ist ein stark regionalisierter Handel mit Endprodukten. Der Austausch von Informationen, sowie von Grundstoffen überwiegt den Austausch von Waren. Eine Welt voller Vielfalt entsteht. Der Bedarf für Ferntransporte von Gütern geht stark zurück. Physische Lieferketten sind weniger fragmentiert. 2050 besteht die Logistik-industrie aus einem Online- und einem Offlinesegment: Grundstofftransporte und Rückwärtslogistik sowie sichere Datenübermittlung.

4.      Lähmender Protektionismus:

Härterer Wettbewerb und wirtschaftlicher Niedergang führen zu Produktivitätsrückgängen, beispielsweise findet kein Export von „seltenen Erden“ mehr statt, die nötig für die Herstellung von High-Tech-Produkten sind. Gegenseitiges Mistrauen führt zu hohen Zollbarrieren, der internationale Austausch kommt zum Erliegen, internationale Konflikte verhindern den Welthandel. Weitere Folgen für die Logistikwirtschaft wären: Der Markteintritt in ausländische Handelsblöcke wäre praktisch unmöglich. Das Geschäftsvolumen für globale Logistikunternehmen wäre deutlich reduziert, die Lieferketten regionalisiert. Inländische Märkte würden wichtiger.

5.      Globale Widerstandsfähigkeit – lokale Anpassung

Im Vorfeld stehen Naturkatastrophen durch Klimawandel, die die globalen Produktionsstrukturen durchbrechen. Nach dem Tsunami in Japan etwa stand die Computerindustrie kurz vor dem Produktionsausfall, denn Chips aus Fukushima konnten nicht mehr geliefert werden.Die Welt erkennt ihre Verletzlichkeit, und ein neues Bedürfnis nach Versorgungssicherheit entsteht. Das Resultat wäre Widerstandsfähigkeit als neues ökonomisches Paradigma, das einen Wechsel zu regionalisierten Lieferketten und einen Fokus auf redundante Systeme und Versorgungssicherheit mit sich bringen würde. nLogistikunternehmen halten redundante Kapazitäten vor. Neue Lagerstandorte werden als Puffer vorgehalten anstelle von Just-in-Time Konzepten. Lkw-, Zug- und Schiffsflotten dienen als Reserveinfrastruktur.

Ein 8-minütiger Film zu den 5 Szenarien wird gezeigt.

Herr Prof. Dr. Ehrhart schließt seinen Vortrag mit einem Apell ab: „Nutzen wir unsere Optionen bewusst, um Zukunft zu gestalten!“ Er geht weiterhin auf die Bedeutung der Szenarien für das Saarland ein: Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist die Schnittstelle zu anderen Ländern. Weiterhin sei das Saarland wie ein „großes Facebook“, jeder kenne jeden, unter den Bedingungen großer Transparenz müsse jeder mit jedem klarkommen. Das daraus entstehende Know-How im „zwischenmenschlichen Miteinander“ sei eine wichtige Ressource. Das Saarland ist ein Know-how träger für Interkulturalität, was in einer globalisierten Welt ein großer Vorteil ist. Saarländer hätten den Wettbewerbsvorteil im Kopf. Eine Herausforderung ergäbe sich etwa dann, wenn das Szenario der Megastädte aktuell werde. Das Saarland ist ein eher ländlich geprägter Raum, welche Funktion kann es für die Megastädte übernehmen? Erholungsraum? Was noch? Im Widerstandsszenario könne die „Macher-Qualität“ der Saarländer helfen, selber nach der Lösung zu suchen und nicht auf andere zu warten.

Fragen aus dem Publikum:

Reinhard Karger wundert sich darüber, dass bei den Schlüsselfaktoren, die „Mobilität“ nicht dabei war und auch die Themen „Bildung“, „Lernen“, „Innovationsfähigkeit“ fehlten, ebenso „Religion“. Warum ist das so?

Antwort: „Vor der Verdichtung von 62 auf 14 Faktoren spielten diese Faktoren eine Rolle. Diese sind nun „größeren“ Faktoren zugeordnet worden, die Religion sei beispielsweise dem Themenfeld „Politik“ zugeordnet, „Bildung“ dem Schlüsselfaktor „Technologische Innovation“. Außerdem sei zu beachten, dass die Szenarien vor allem mit der Frage beleuchtet wurden, wie sich die Logistikbranche einrichten muss und nicht wie die Gesellschaft reagieren kann.“

Dr. Schneider: „Glauben Sie, das eines dieser Szenarien sich durchsetzen wird? Oder glauben Sie dass es einen Wettbewerb mit unterschiedlichen Auswirkungen gibt?“

Antwort: „Das ist ein interessanter Punkt. Wir werden Durchgangsstadien erleben. Keines der Szenarien wird in Reinform so eintreten, sondern eine Gemengelage wird entstehen: Wir werden sicher Megastädte und Individualisierung sowie Resilienz haben. Ich glaube an die Ratio der Menschen und deswegen nicht an kriegerische Zeiten , oder die Ausbeutung der Ressourcen.“

Michael Brand berichtet, dass sein Institut einen Masterplan für das Saarland bis zum Jahr 2050 gemacht habe, das Problem sei aber: Die Menschen hätten Schwierigkeiten den Übergang auszuhalten, Menschen ließen nicht los, gerade im Saarland, so entwickelten sich wenig Alternativen, wenn etwas wegalle. Die Prognose für 2030 lautete etwa, dass die Stahlindustrie komplett wegfallen werde. Darauf rege sich Widerstand. Seine Frage lautet: „Wie nimmt man die Menschen mit?“ Welchen Wert habe etwa der Betrieb eines Kohlenkraftwerkes an sich? Er appelliert: „Wir müssen loslassen, wenn ich nicht in düsteren Szenario landen wollen!?“

Antwort: „Für sowas braucht man Ehrlichkeit und Mut. Es geht auch um Identitätsstiftung, den Menschen ein Gefühl davon zu geben, wer sie eigentlich sind.“ Das Saarland werde oft allein als Wohlfühlstandtort verkauft.  Damit allein seien aber die Herausforderungen der Zukunft nicht zu bewältigen. Die Frage müsse lauten: „Was macht unsere Mentalität in Bezug auf die Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen aus?“ Hier seien z.B. die schon erwähnten Macherqualitäten und die anderen Ressourcen der Saarländer interessant. Daraus könne dann ein Leitbild formuliert werden, das weiter in kleine Schritte zerlegt wird, z.B. die Entwicklung von CO2 optimierte Logistikleistungen, das Saarland als Transferland: Wie kann man sich in dieser Funktion einbringen?

Die Bilder zur Veranstaltungen können Sie hier sehen und hier das Video zum Vortrag.